Wundersame Märchen
 Reise in die Märchenwelt 



Liebe ist ein starkes Gefühl, mit der Haltung inniger und tiefer Verbundenheit zu einem anderen Wesen. Sie ist die stärkste Form der Hinwendung.

C. G. Jung sagt: "Die Liebe ist eine der großen Schicksalsmächte, die vom Himmel bis zur Hölle reichen."

Liebe

E. Fried versucht Liebe in ein Gedicht zu fassen:
Was es ist
Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Es ist Unglück, sagt die Berechnung.
Es ist nichts als Schmerz. Sagt die Angst.
Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Es ist lächerlich, sagt der Stolz.
Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.
Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe... (Erich Fried, 1966)


"Das Märchen ist die einzige Literaturgattung, die uns glauben machen mag, dass Liebende in dieser Welt glücklich werden können. Ja, dass die Liebe sogar der einzig wirkliche Weg zum Glücklichwerden ist."
"Aber Märchen wissen auch um die enormen Gefährdungen, dem Weg der Liebe zu folgen. Es sind Abenteuer zu bestehen: gegen Riesen, Zwerge, Untiere, Zauberer, Verwunschenes aller Art. Das alles spielt in der Seele der Menschen und muss bestanden werden. Insofern schildern die Märchen die Liebe und die Reifung dazu als einen Erlösungsweg von Ängsten und Zwängen, die uns seit Kindertagen in die Seele gelegt wurden."
(Eugen Drewermann, Interview mit der Südwestpresse, Magdi Aboul-Kheir, 08.04.2013)


So ist die Liebe in den Märchen ein sehr häufiges Thema.
Die Liebe zeigt sich in allen ihren Schattierungen:
Liebe zwischen Mann und Frau, Liebe zwischen Prinz und Prinzessin, Liebe zwischen Prinz und Schäferin, Liebe zwischen Mutter und Kind, Liebe zwischen Geschwistern, Liebe zu dem Mitmenschen, Liebe zum Hilflosen, Liebe zu einem Freund, Liebe zu einem Tier, Liebe zu Gott, Liebe zum Reichtum, zur Macht, u.a.

Die Märchen gehen oft von Situationen aus, in denen große Konflikte bestehen, so dass die Liebe nicht möglich oder gestört ist oder gar vernichtet werden soll.


Märchen bieten aber neben der Erkenntnis der Konflikte auch Lösungswege aus existentiellen Krisen an. Sie weisen Wege zur Bewältigung der inneren Konflikte in symbolischer Form auf. Die Märchen erzählen nun von Menschen, die sich auf ihren schwerenWeg machen und dann in der Liebe ihre Erfüllung finden.

"... endlich erblickten sie von weitem ihres Vaters Haus. Da fingen sie an zu laufen, stürzten in die Stube hinein und fielen ihrem Vater um den Hals. Der Mann hatte keine frohe Stunde gehabt, seitdem er die Kinder im Walde gelassen hatte, die Frau aber war gestorben. Gretel schüttete ihr Schürtzchen aus, dass die Perlen und Edelsteine in der Stube herumsprangen, und Hänsel warf eine Handvoll nach der andern aus seiner Tasche dazu. Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen."
(Grimms Märchen, Hänsel und Gretel)


Nun lag Schneewittchen lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus als wenn es schliefe, denn es war noch so weiß als Schnee, so rot als Blut, und so schwarz haarig wie Ebenholz. Es geschah aber, dass ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten ...
Da sprach er zu den Zwergen: "Lasst mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt." Aber die Zwerge antworteten: "Wir geben ihn nicht, um alles Gold in der Welt." Da sprach er: "So schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben ohne Schneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochachten wie mein Liebstes ..."
Da geschah es, dass sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Schneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe, und richtete sich auf, und war wieder lebendig. "Ach Gott, wo bin ich?" rief es. Der Königssohn sagte voll Freude: "Du bist bei mir", und erzählte was sich zugetragen hatte und sprach: "Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in mein Vaters Schloss, du sollst meine Gemahlin werden." Da war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet.

(Grimms Märchen, Schneewittchen)


Nun könnte man sagen: Die Liebenden im Märchen haben es gut. Da, wo im normalen Leben die Probleme anfangen, da hören sie in den Märchen auf. Wenn sie einander einmal haben, dann feiern sie Hochzeit und "leben glücklich bis an ihr Ende".
Nun kann man die Märchen aber auch ganz anders sehen: Dieses immer wieder -auf-die-Suche-Gehen nach dem anderen kann man auch als Prozess innerhalb einer Paarbeziehung verstehen. Dann erhalten wir durch das Märchen die Botschaft, dass wir nicht ewig und ohne Schwierigkeiten uns in einer Beziehung ‘haben’, sondern dass wir uns immer wieder neu auf die Suche zueinander begeben müssen. Und auf dieser Suche müssen wir immer wieder etwas Neues, Schwieriges bewältigten, um glücklich miteinander zu werden.

Aber die Märchen mit ihrer Gewissheit eines guten Ende lassen auch uns hoffen, dass diese Probleme angegangen werden und bewältigt werden können.


Aber es gibt auch Märchen, die uns von unmöglichen Voraussetzungen und von missglückten Paarbeziehungen erzählen und vor diesen warnen.
Eine Katze hatte Bekanntschaft mit einer Maus gemacht, und ihr so viel von der großen Liebe und Freundschaft vorgesagt, die sie zu ihr trüge, dass die Maus endlich einwilligte mit ihr zusammen in einem Haus zu wohnen und gemeinschaftliche Wirtschaft zu führen ...
"Ach," sagte die Maus, "jetzt merke ich was geschehen ist, jetzt kommts an den Tag, du bist mir die wahre Freundin! aufgefressen hast du alles, wie du zu Gevatter gestanden hast: erst Haut ab, dann halb aus, dann ..." 'Willst du schweigen" rief die Katze, "noch ein Wort, und ich fresse dich auf." "Ganz aus" hatte die arme Maus schon auf der Zunge, kaum war es heraus, so tat die Katze einen Satz nach ihr, packte sie und schluckte sie hinunter. Siehst du, so geht's in der Welt."

(Grimms Märchen, Katze und Maus in Gesellschaft)


Ein Kreisel und ein Ball lagen im Kasten beisammen unter anderem Spielzeug, und da sagte der Kreisel zum Ball: "Wollen wir nicht Brautleute sein, da wir doch in dem Kasten zusammen liegen?" Aber der Ball, welcher von Saffian genäht war, und der sich ebenso viel einbildete als ein feines Fräulein, wollte auf dergleichen nicht antworten. Am nächsten Tage kam der kleine Knabe, dem das Spielzeug gehörte; er bemalte den Kreisel rot und gelb und schlug einen Messingnagel mitten hinein; dies sah recht prächtig aus, wenn der Kreisel sich herumdrehte.
"Sehen Sie mich an!" sagte er zum Ball. "Was sagen Sie nun? Wollen wir nun nicht Brautleute sein, wir passen gut zu einander. Sie springen und ich tanze! Glücklicher als wir Beide würde Niemand werden können!" "So, glauben Sie das?" sagte der Ball. ... Der Kreisel sprach nie mehr von seiner alten Liebe; die vergeht, wenn die Geliebte fünf Jahre lang in einer Wasserrinne gelegen hat und ausgequollen ist, ja man erkennt sie nie wieder, wenn man ihr in einer Kehrichttonne begegnet.

(C.H. Andersen, Das Liebespaar)

Aber dennoch können uns auch diese Märchen die Gewissheit geben: "Die Liebe ist der einzig wirkliche Weg zum Glücklichwerden." Man muss nur dafür kämpfen und an sich arbeiten.


Dieser Kampf und die letztendliche Erfüllung in der Liebe wird außerordentlich anschaulich in dem Märchen: "Die Frau, die auszog ihren Mann zu erlösen" beschrieben.

"... ich bin die Frau des ältesten Prinzen, den du hinübergerudert hast. Und wenn es mir nicht gelingt, die Prinzen und vor allem meinen lieben Mann zu erlösen, will ich lieber tot sein ..."
Doch die Prinzessin sprach kein Wort und zog ihr Schwert ...
Doch die Prinzessin ließ sich nicht täuschen und bedrohte die Hexe weiter. Noch mehrmals wechselte diese ihre Gestalt, aber unbeirrt kämpfte die Prinzessin weiter, und die Spitze ihres Schwertes drang in das Herz der Hexe.
In diesem Augenblick fiel der Zauber von dem Schloß und den Versteinerten; sie kamen in den Schloßhof und dankten der Prinzessin, die sie erlöst hatte. Am glücklichsten aber waren die drei Brüder, und der älteste Prinz umarmte seine Gemahlin und küßte sie. Da nahmen die Erlösten die Schätze der Hexe, belohnten den alten Fischer reichlich und ritten heim. Als der kranke König sie heimkommen hörte, trat er unter das Tor, und die Prinzessin besprengte seine Augen mit dem Wasser des Lebens. Da wurde der König wieder sehend, nahm seine Krone, setzte sie der Prinzessin aufs Haupt und übergab ihr das Reich, und alle waren es zufrieden, und sie lebten in Glück und Frieden miteinander.

(Spanisches Märchen, Die Frau, die auszog ihren Mann zu erlösen)